Illustration aus "Was die Sennen erzählen".
Wallisersagen gesammelt von Johannes Jägerlehner, 1921.
 
                                                                                                                                           
  Sagengestalten          
              

Sagengestalten sind oft nur märchenhafte Figuren, wie Zwerge oder Drachen. Oft sind es aber Personen, deren Namen geschichtlich belegt sind - und gelegentlich entspricht der Kern der geschilderten Ereignisse auch den Tatsachen. Oberwalliser Sagengestalten, die es so oder ähnlich tatsächlich gab, waren meistens ungewöhnlich grosse und starke Männer (Riesen), weise Würdenträger, tapfere Helden und wundertätige Heilige.

Riesen
Ein über die Landesgrenze bekannter Riese war der Geschiner Sebastian Weger, "Wegerbaschi" genannt. Als er 1832 in Münster beerdigt wurde, benötigte man für ihn, so wurde später erzählt, einen Sarg von 9 Fuss Länge ( 2.60 m). Ob das stimmt wissen wir nicht. Sicher ist, dass er 1759 in Geschinen geboren wurde. Seine Familie gehörte damals zu den reichsten und vornehmsten des Obergoms. Der Vater war Magistrat. Onkel, Bruder und Neffen waren Offiziere im Dienste des Königreichs Sardinien-Piemont. Er selber war 1798 einer der Anführer der Oberwalliser im ersten Aufstand gegen die Franzosen. Nach anfänglichen Erfolgen wurden die Oberwalliser geschlagen. Sebastian Weger wurde gefangenen genommen und im Schloss Chillon eingekerkert. Diese Biographie ist wenig bekannt. Der Sage nach war er von Beruf Säumer. Seine bekanntesten Taten waren:

 

Er hatte eine Liebste in Naters. Ihr gefiel, dass alles an ihm so gross und stark war. Als sie aber sah, dass auch die von ihm gegessen Mahlzeiten riesenhaft waren, trennte sie sich von ihm. Aus Rache rollte er ihren Eltern einen Stein vor die Stalltür. Um ihn wegzurollen, wurden sieben Männer benötigt.  

Von Sitten trug er auf seinem Rücken einen zentnerschweren Getreidesack ohne anzuhalten nach Geschinen.  

Auf der Grimsel wurde er von einem riesigen Hund angegriffen. Er packte den Hund am Ober- und Unterkiefer und riss ihn in zwei Stücke.  

Als Säumer war er oft in Meiringen. Ein paar Berner wollten ihm eines Tages einen Streich spielen. Bei Innertkirchen fällten sie am Saumweg einen grossen Baum, so dass der Wegerbaschi mit seinem schwer beladenen Maulpferd nicht mehr durch kam. Da packte er das beladene Maulpferd, hob es über das Hindernis und ging lachend weiter.  

Ähnliche Taten werden über einen Lötschentaler Riesen namens Riedi berichtet. Das Titelbild illustriert eine seiner Taten. N.B.: Das Heben beladener Maultiere beherrschten damals offenbar nicht nur die Gommer!

 

 
 
Weise Würdenträger
Einige Sagen dienen auch der "Volksbelehrung". Ob diese auch zum "alten Sagengut" gehörten oder im 19. Jh. aus anderen Quellen in die Sagensammlung rutschten, ist unbekannt. Eine der Sagen in dieser Kategorie erzählt vom Grossen Stockalper. Einer seiner Knechte gestand unter den Folter einen Sattel gestohlen zu haben und sollte deswegen hingerichtet werden. Da erinnerte sich der Grosse Stockalper, dass er selber den Sattel in einen anderen Raum abgelegt hatte - wo man den Sattel dann auch fand. Kurz darauf wurde auf Veranlassung des Grossen Stockalper im Wallis die Folter abgeschafft, 100 Jahre vor den anderen Schweizern.

Soweit die Sage. Der wirkliche "Grosse Stockalper" (Jodok Stockalper) lebte 1609-1691. Das erste Land, das die Folter abschaffte war 1740 Preussen. 1786 folgte Österreich. Im Wallis wurde die Folter 1808 durch die von Frankreich diktierte Verfassung verboten. 1813, nach der Befreiung von Napoleons Herrschaft, führten einige Schweizerkantone die Folter wieder ein. Nicht aber das Wallis. Endgültig verschwand in der Schweiz die Folter erst 1848.
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Im Zendengerichtshaus in Ernen wurde zuletzt 1786 mit Hilfe der Folter ein Geständnis erpresst. Opfer war ein des Diebstahls verdächtigter Franz Dominik S. von Buochs. Für den Strafvollzug wurde die Folterkammer noch 1820 benutzt (Auspeitschung eines aus Tirol stammenden Diebes). Im Jahre 1900 wurde die Folterkammer in eine Käserei umgebaut und in den Gefängniszellen wurde Käse gelagert. Seit der Renovation 1953 dient das Gebäude als Gemeindehaus.

 


 
Tapfere Helden
1419 kamen die Berner über die Grimsel ins Wallis. Oberwald und Obergesteln hatten sie schon geplündert und verbrannt. Vor Ulrichen wurden sie von einer kleinen Gruppe von Wallisern aufgehalten. Ihr Anführer war Thomas Inderbinen, auch Riedi genannt. Auch er, ein Riese von Gestalt. Bekleidet war er mit Fellen und als Waffe schwang er eine Eisenstange, die aus sieben Stemmeisen zusammengesetzt war. Mit dieser fürchterlichen Waffe schlug er die Berner reihenweise nieder. Einer der Berner stellte sich aber tot und als Riedi über ihn schritt, schlitzte ihm der Berner den Bauch auf, so dass seine Eingeweide hervordrangen. Er wollte weiterkämpfen, hatte aber wegen der Verwundung einen fürchterlichen Durst. "Ach", soll er ausgerufen haben, "hätte ich doch nur einen Trunk Wasser". Da öffnete sich vor seinem Fuss ein Brunnen. Er labte sich daran, warf sich die Eingeweide über die Schulter und kämpfte weiter. So erschlug er noch viele Berner, bis er ermattet zu Boden sank und starb. Die Berner, obwohl noch immer in der Überzahl, zogen sich ob solcher Tapferkeit erschreckt, zurück. Der Brunnen auf dem Schlachtfeld fliesst aber noch immer und wir heute noch der Riedi-Brunnen genannt.

Ebenfalls in den Wallisersagen wird Hauptmann Barholomäus Walther erwähnt, der 1799, beim zweiten Aufstand der Walliser gegen die Franzosen, Visp verteidigte. Der Sage nach stürzte Bartholomäus Walter auf der Flucht mit seinem Pferd in einen Graben und wurde dort von den Franzosen erschlagen. Gemäss einem Geschichtsbuch, das um 1930 im Wallis als Lehrmittel eingesetzt wurde, starb aber Bartholomäus Walther, weil er der Aufforderung der Franzosen sich zu ergeben nicht nachkam. Stattdessen gab er seinem Pferd die Sporen und stürtzte sich mit dem Ruf "Es lebe die alte Freiheit" auf seine Feinde.
Anmerkung: Man kann sich gut vorstellen, dass in diesem Fall die Sage und nicht das Geschichtsbuch das wirkliche Geschehen schildert. Um so mehr als Sagen aus der so genannten Franzosenzeit (1798 bis 1813) von zwischen 1805 und 1815 geborenen Personen aufgezeichnet wurden, die Zeitzeugen sicher noch persönlich kannten.


Wundertätige Heilige
In den Wallisersagen werden Heilige selten erwähnt. In keiner Sammlung fehlt aber die Sage vom Teufel und vom Heiligen Theodul. Für alle die diese Sagen noch nicht kennen: Weiterlesen!

Für alle anderen, direkt zum Literaturhinweis!

 
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